Der Arzt als Coach

Artikel #806 vom 15.08.2016


Die Medizin ist im Wandel. Notgedrungen. Gedrängt nämlich von der Kritik der Patienten. Wachsende Unzufriedenheit. Immer noch eine Tablette dazu? Das kann es doch wohl nicht sein. Kritik auch der Ärzte. Zwei Drittel beklagen im Krankenhaus schlechtes Arbeitsklima, Zeitmangel, Arbeitsüberlassung und beschränkte Entscheidungsbefugnisse (Zitat). Drei Viertel der Mediziner meinen sogar, dass die Qualität der Patientenversorgung gefährdet sei. Einer der häufigsten genannten Faktoren: Übertherapie (!!!).

Und dann kam Dr. Gray. Inzwischen Sir Muir Gray. Ein schottischer Arzt. Mit-Begründer der evidenz-basierten Medizin. Also genau der Medizin, der wir das obengenannte Schlamassel besonders in den Krankenhäusern zu verdanken haben. Alles vielfach belegt.
Sir Gray berät inzwischen das Britische Gesundheitsministerium als Chief Knowledge Officer und spricht heute ganz anders:

„In früheren Zeiten standen die Ärzte ihren Patienten als Heiler und väterlicher Freund zur Seite. Dann sei das Zeitalter des Arztes als Wissenschaftler angebrochen. Jetzt, so fordert Sir Muir Gray, muss die nächste Phase folgen, nämlich

der Arzt als Coach. Ein Begleiter, der zuhört, gründlich informiert und nach Lösungen sucht.

Das war die Stunde der Value Based Medicine auf der Insel. Man solle doch neben den Leitlinien auch die individuellen Vorstellungen der Patienten berücksichtigen, ist deren Forderung. Beispiel?

Krebsmedikamente: Eine neue Melanom-Therapie kann das Überleben der Tumorkranken vielleicht im Schnitt von 6,4 Monaten auf 9,4 Monate verlängern. Worüber die Hersteller der Präparate aber oft schweigen: Wie es den Patienten in den 3 „gewonnenen“ Monaten geht. Wie oft sie z.B. durch heftige Durchfälle oder permanentes Erbrechen die Therapie nicht mehr ertragen.

Und jetzt kommt Deutschland. Da fordert der „mächtigste Mann im Gesundheitswesen“, der Jurist Josef Hecken doch tatsächlich:

„Über so etwas (Nebenwirkungen der Krebstherapie) muss man Patienten im Detail aufklären“.

Ja du meine Güte: Ist das nicht schon längst geschehen? Passiert das nicht täglich? Denken Sie selbst mit: Offenbar nicht. Wenn der mächtigste Mann im Gesundheitswesen das heute erst „fordert“. Sehen Sie: Das ist der Hintergrund der Value Based Medicine. Der Hintergrund der Forderung, der Arzt möge als Coach auftreten.

Und nicht völlig automatisch solch eine neue Krebstherapie (für Hunderttausende von Euro) für 3 gewonnene Monate anwenden. Schlimme, ganz schlimme Monate für den Patienten.

Wieso Josef Hecken zu dieser Forderung kommt? Weil sein Vater, 90 Jahre, klar im Kopf, beweglich wegen Bauchschmerzen im Krankenhaus untersucht wird. Verklemmter Gallenstein. Inzwischen entklemmt. Problem hat sich gelöst. Der Internist will den Patienten entlassen.

Kommt ein junger Chirurg: Der Stein müsse entfernt werden. Also Operation. Leitlinien-gerecht. Ach, wenn Sie wüssten.

Leitlinien stellen sicher, dass die Leistungen auch abgerechnet werden. Von der Klinik. Die werden den Krankenhausärzten mit „sanften“ Zwang aufgedrängt. So diesem jungen Chirurg.

Der Sohn, der Jurist Josef Hecken, der „mächtigste Mann im Gesundheitswesen“ hat abgelehnt und seinen Vater nach Hause mitgenommen. Die Episode mit seinem Vater habe ihn nachdenklich gemacht. Hier

„… gehe der Blick auf den Patienten auf seiner Ganzheitlichkeit verloren. Für den Kranken könne das zu einem ganz fatalen Ergebnis führen“.

Wie wahr. Umdenken. Oder wie der Fachbereichssprecher des deutschen Netzwerks evidenz-basierte Medicine (man stelle sich vor, gerade der!) so richtig sagt:

Es gibt eine Wirklichkeit neben der leitliniengerechten Behandlung.

Was das ist? Lesen Sie täglich hier in diesen News. Leitlinien heißt Pharmamedikation. Eindeutig. Wir betreiben Epigenetik. Wir hören auf die Natur. Der Erfolg ist überwältigend. Überwältigend! Wann stellt sich einer von Ihnen einmal hin und sagt das, sagt es so laut dass jeder, ob Arzt oder Patient, in Deutschland das mitbekommt?

Ich bin nur einer. Sie sind viele!

Quelle: DIE ZEIT Nr. 30, 14.07.2016