Statt einem Schlusswort: Mein erster großer

Meditationslauf

Die Krone des Triathlon heißt:

3,8 Kilometer schwimmen, 180 Kilometer Radfahren, 42,2 Kilometer Laufen. Und das Ganze so schnell man kann. "So etwas Idiotisches, das ist doch Wahnsinn, Quälerei, grenzt an Selbstmord" sagen die, die es nie gemacht haben. Ich weiß ganz genau: mein erster Triathlon auf Neuseeland war eine reine Freude. War Glück pur. Fünf Tage vorher haben wir uns alles angeguckt, sind die Strecke Tag für Tag schon mal abgefahren, zum Teil abgelaufen. Und haben den linken Fuß in das Meerwasser gesteckt. Immerhin. Jedenfalls hab ich mir alles sehr genau eingeprägt. Habe es nachts mit in den Traum genommen. Mein Unterbewusstsein vorbereitet. Und als der Startschuss fiel…war ich im Ziel. Buchstäblich. Ich hatte beschlossen tief in mir, an diesem Tag als Ironman ins Bett zu gehen – und nur deswegen hat es auch funktioniert. Denn tatsächlich hatte ich mir, typisch blutiger Anfänger, viel zu wenig Gedanken über den technischen Ablauf gemacht. Mich nicht um mein Rad gekümmert, nicht ausprobiert, wie eng man im Meerwasser eigentlich eine Schwimmbrille schnallen darf, oder was man wo isst.

3,8 Kilometer Schwimmen…

Deshalb bin ich 100 Meter nach dem Startschuss bereits abgesoffen. Ich hatte dummerweise versucht, mitzuhalten. Mit all den jungen, athletischen Traumkörpern vor mir. Ich, der unbeholfene Freischwimmer, der ich war. Nach kurzer Zeit war der ganze Körper übersäuert, jeder Muskel brannte wie Feuer, ich bekam keine Luft mehr, habe sicher hyperventiliert und dachte: Jetzt stirbste! Wollte das – preußisch höflich erzogen – möglichst ohne großen Aufwand hinter mich bringen. Niemanden belästigen. Jedenfalls gab ich auf und paddelte nur noch so vor mich hin. Das war mein Glück. So kam das überhöhte Laktat langsam wieder herunter und ich trödelte den Schwimmern weit vor mir einfach nach.

Geriet ins Träumen. War gar nicht mehr bei der Sache und wachte nach zwei Kilometern jäh auf, weil ich dachte: Der Schädel platzt mir. Da ich Angst vor Salzwasser habe – heute noch – hatte ich die Brille viel zu fest umgeschnallt. Die schnitt mir jetzt in die Kopfhaut. War in meinen Träumen freilich nicht vorgesehen. Ich hab’s also nicht korrigiert und… versank wieder in Gedanken. Paddelte in einer Gruppe von Japanern mit gleicher Schwimmtechnik geschützt bis ans Land und stieg nach 3,8 Kilometern aus dem Wasser direkt unter die Dusche.

Und dort blieb ich. Und blieb ich. Und seifte mich gedankenverloren ein. Versteh ich heut noch nicht. Ich war immer noch ganz im Traum versunken – aber sonst hätte ich die Schwimmstrecke wohl nicht überlebt. Hatte völlig vergessen, dass es sich um einen Wettkampf handelt, dass man vielleicht weiter machen muss – und wenn man beim Wettkampf für irgendetwas keine Zeit hat, dann ist es sicherlich: Sich gemütlich einzuseifen.

…180 Kilometer Radfahren

Das Radfahren war reines Glück. So, wie wenn man die Schweiz bei schönem Wetter durchquert. Das Herz jauchzte: Kühe, saftige Weiden, grüne rollende Hügel, ich kann mich an jeden einzelnen Meter erinnern: Den Meilenstein, an dem ich meinen Marsriegel weggeworfen habe, weil mein Körper mir sagte: Den kannste nicht gebrauchen! Aus welchen Gründen auch immer. Oder die Kreuzung, an der ich haarscharf mit einem goldenen Rolls-Royce zusammengestoßen wäre. Im Tran hatte ich völlig vergessen, dass in Neuseeland Linksverkehr herrscht. Ich fuhr auf der verkehrten Seite – aber eben im Flow, in dieser fünften Dimension des Daseins, wenn Geist und Körper völlig aufgehen in dem, was sie gemeinsam tun. Im Flow passiert einem nichts. Geht nicht. Ich bin wohl einfach irgendwie ausgewichen.

Dann verirrte sich die Radhalterung wegen einer gelockerten Schraube im Kettenblatt und ich stürzte. Gespürt hab ich nichts. Ich war im Flow. Und riss einfach mit bloßen Händen den Radflaschenkäfig samt Stahlschrauben aus dem Rahmen. Typischer Anfängerfehler. Heute ziehe ich Schrauben vor jedem Wettkampf jede einzeln nach. Vorsichtshalber.

…und dann noch 42,2 Kilometer Laufen

Nach 180 Kilometern weiß ich noch ganz genau: Wie neugeboren. Ich stieg vom Rad, rannte durchs Zelt auf einen Trog von Eiswürfeln zu und begann zu lutschen. Genüsslich, langsam zu lutschen. Noch heute greif ich mich an den Kopf: Das soll ein Wettkampf sein? Tut mir leid: Für mich war’s ein Traum. Beim Losrennen spüre ich den Stein im Schuh. Erbsengroß, wie ich nachher feststellte. Wusste zwar, dass ich den jetzt besser entfernen sollte, hatte aber in meinem Unterbewusstsein verankert: Man darf nie stehen bleiben. Ich darf nicht stehen bleiben, weil ich ja Ironman werden wollte. Bleibe ich stehen, habe ich verloren. Davon war ich tief drinnen fest überzeugt. Also lief ich mit Stein langsam los. Langsam. Im Serotoningang. Streng nach der Pulsuhr. Nahm also meine Umgebung wahr und freute mich an ihr. Los ging’s am Meeresufer, und dann gleich bergauf durch ein Vorstädtchen mit grünen Parks. Das Wetter war warm, die Sonne versteckte sich hinter den Wolken, die Menschen feierten Gartenfeste und winkten mit weißen Handschuhen. Unvergesslich.

Und so ging’s dahin, langsam, gemütlich dahin gleitend, auf und ab. Ich genoss jeden Meter, sehe noch genau den Strich, den Querstich auf der Strasse: Die Hälfte ist geschafft. Die letzten vier Kilometer bin ich juchzend dahingerast, durch all die Sonntagabend-Spaziergänger am Kai hindurch, habe rechts und links gegrüßt. Die letzten zweihundert Meter dann im Sprint und ich stürmte mit einem Lachen ins Ziel. Mein schönstes Zielfoto, völlig entspannt, das reine Glück. Sie werden es nicht glauben, aber ich fühlte mich unterfordert. Ich spürte nicht einmal das ein Zentimeter tiefe Loch im Fuß: Der Stein hatte sich bis auf den Knochen durch gearbeitet. Man konnte die Sehnen sehen. Hubert Schwarz, meinen Betreuer, hat es am Tag drauf geschüttelt.

Beim nächsten Ultratriathlon lief ich genauso im Flow 1,5 Stunden schneller. Und im gleichen Jahr nahm ich mir noch ein paar mal vor, mich diesen Abend als Ironman schlafen zu legen. Ich war der erste Mensch der Welt, der alle sechs möglichen Ultratriathlons (Ironman, Ultraman Hawaii) in einem Jahr geschafft hat. Natürlich bin ich stolz. Aber genauso natürlich können Sie das auch. Das kann jeder, wirklich jeder, der sich das tief drinnen wünscht, der also meditiert.