Leichter lernen

20 Jahre bin ich durch die deutschen Lande gezogen. Habe ein paar von Ihnen zum Laufen verführt. Meine Begründung war immer die gleiche: Beweg die Beine, dann geht im Gehirn ein Licht an. Hatte ich von Prof. Hollmann gelernt, dem Nestor der deutschen Sportmedizin. Viel wichtiger: hatte ich persönlich erfahren. Erfahren, wie man innerhalb von einer Woche fließend spanisch sprechen lernt. Von Null auf Hundert. Habe erfahren, wie man innerhalb von zwei Wochen fließend italienisch lernen kann. Von Null auf Hundert. Wenn man nur läuft...Und hatte Ihnen präzise erklärt, was da passiert: Das neuronale Netz nimmt zu, die Gehirnzellen im Gedächtniszentrum Hippocampus vermehren sich, die Hirndurchblutung verdoppelt sich. Zusammengefasst: Das Gehirn wacht auf.

Zwischenbemerkung: Wer nach diesen paar Sätzen nicht sofort losläuft, der entzieht sich meinem Verständnis.

Jetzt kommt's: Da berichtet doch – ganz neu! – Prof. Kempermann vom "Forschungszentrum für Regenerative Therapien Dresden und vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen" über einen Mäuseversuch. Der hat einfach genetisch völlig identische Mäuse genommen. Hat die in völlig gleicher Umwelt miteinander leben lassen. Und fand:

Die Tiere entwickelten sich individuell. Je nachdem ob eine Maus vielleicht zufällig begann ein bisschen mehr herumzulaufen, aktiver zu werden, hatte sie eben "deutlich mehr Nervenzellen im Hippocampus gebildet". Und deswegen hätten diese Mäuse sich für den Rest des Lebens anders verhalten.

Kempermann wörtlich: "Wer sich viel bewegt, der kann auch viel erleben. Das Gehirn eines aktiven Individuums produziert gleichsam im voraus Nervenzellen, um die vielen Erfahrungen verarbeiten zu können." Und fasst zusammen:

"Wenn schon bei der Maus die individuelle Erfahrung und Lebensweise einen so großen Einfluss auf die individuelle Struktur des Gehirns hat, dann stehen die Chancen gut, dass es bei uns erst recht so ist".

Ach du meine Güte. "Bei uns", also beim Menschen doch auch schon bewiesen. Und wenn auch nur vor 23 Jahren durch die persönliche Erfahrung eines neugierigen Arztes. Inzwischen sogar mit Kernspin etc. bildlich bewiesen.

Aber dennoch: Ist das nicht wundervoll? Dieser erneute Beweis? Lauf los und Du...veränderst dein Gehirn? Und so besonders wichtig: Bei genetisch völlig identischen Individuen in völlig identischer Umwelt.

Man hat sein Leben, in dem Fall das Gehirn eben doch selbst in der Hand. Entweder man läuft – jetzt gleich! – los oder man lässt es. Das war's eigentlich schon. Bringt mich wieder auf Angelina Jolie und die wöchentlich etwa zehn Frauen, die sich auch in Deutschland vorsorglich die Brüste amputieren lassen. Weil sie tatsächlich glauben, den Genen ausgeliefert zu sein.

Auch Prof. Kempermann hat – von ganz anderer Seite – das Gegenteil bewiesen.

Quelle: Der Spiegel 20/2013, Seite 107