… fast immer. Und gehen – fast immer – wieder weg. Wenn man seine Komfort-Zone verlässt, wenn man die Beine selbst in die Hand nimmt, wenn man aktiv wird. Sich um den Muskel kümmert.
Das ist die Message hinter einem selten glücklichen, psychologisch außerordentlich geschickten Interview im neuen SPIEGEL (Der SPIEGEL 6/2018, Seite 96). Es äußert sich ein Physiotherapeut vom Rückenzentrum Am Michel in Hamburg.
Der nachgedacht hat. Und sehr viel davon hält, dass der Patient seinen "Schmerz verstehen" sollte. Heißt übersetzt: Ein richtiges Bild von Rückenschmerzen haben sollte. Was in der Regel eben nicht der Fall ist.
Der Patient bekommt in aller Regel ein drohmedizinisches, ein falsches, ein schlimmes Bild von seiner Wirbelsäule, von seinen Bandscheiben vermittelt. Verzweifelt innerlich und… steht der Heilung selbst im Wege. Das Interview ist so geschickt und klug, dass ich es einfach wörtlich abschreiben möchte. Also Zitat:
"SPIEGEL: Sie sagen, viele Patienten hätten eine falsche Vorstellung, warum der Rücken wehtut. Was meinen Sie damit?
Richter: Unbedachte Aussagen von Ärzten, Osteopathen, Physiotherapeuten werden als Drama und Katastrophe verstanden. Eine Beispiel: Wenn der Behandler sagt, die Lendenwirbelsäule sei nicht stabil genug, dann meint er eigentlich nur, die Muskulatur arbeite nicht harmonisch – doch der Patient hört, die Region könnte bald auseinanderbrechen oder sei verrutscht. Tatsächlich ist es aber eine normale Erscheinung des Alterns. Auch Begriffe wie "degeneriert" oder "verschlissen" werden so verstanden, dass der Rücken kaputt ist. Daraufhin schützt und schont der Patient seine Lendenwirbelsäule – und macht den Schmerz hierdurch noch schlimmer.
SPIEGEL: Wer zu verschiedenen Behandlern geht, der bekommt oft sehr unterschiedliche Erklärungen für seinen Schmerz serviert. Warum ist das so?
Richter: Die Erklärungsmodelle der verschiedenen Heilberufe können sehr unterschiedlich sein, erst recht, wenn die Beschwerden bei einem Patienten nicht weggehen. Deswegen bekommt er unzählige Befunde und Diagnosen zu hören. Der Patient versteht das leider so: Was ich habe, ist so komplex, dass keiner die Ursache finden kann. Wir sehen Patienten, die kommen mit Aktenordnern voller Diagnosen und Berichte. Sie werden vom System regelrecht krank gehalten.
SPIEGEL: Was empfehlen Sie?
Richter: Zu Beginn sollte der Behandler den Patienten systematisch informieren:
Schmerz ist ein Frühwarnsystem, das bereits aktiviert wird, wenn potenzieller Schaden droht oder erwartet wird, auch wenn gar keine Struktur beschädigt ist. Schmerz ist also nicht identisch mit einem Gewebeschaden – und deshalb kann man trotz Rückenschmerz aktiv sein. Mit dieser Botschaft bekommen wir viele chronische Patienten wieder zurück in die Aktivität.
SPIEGEL: Hilft Ihr Ansatz auch Menschen mit nur gelegentlichen Beschwerden?
Richter: Rückenschmerz ist nahezu immer gutartig und geht von allein weg – wenn das mehr Menschen wüssten, dann gäbe es für viele Hausärzte, Orthopäden und Physiotherapeuten gar nicht mehr die Möglichkeit, das Krankheitsbild Rückenschmerz so aufzubauschen."
Fazit: Wir Ärzte sollten sehr, sehr auf unsere Worte achten. Denn wir vermitteln oft genug falsche Bilder. Meinen es ja gar nicht böse, werden aber so schlimm verstanden. Und das macht die Krankheit des Patienten in der Regel nur noch schlimmer. Wird hier wunderhübsch erklärt.
Besonders wichtig scheint mir auch die Aussage, dass man "trotz Rückenschmerzen aktiv sein" solle. Also sich eben gerade nicht schonen müsse. Wieder einmal lernen wir, dass Heilung auf Aktivität beruht. Wurde uns lange genug falsch gepredigt.