Frohmedizin in der Klinik?

Praktisch nicht möglich. Und das nicht einfach nur deshalb, weil Krankenhaus-Medizin nun einmal auf der Pharmamedizin aufbaut. Und nicht auf der viel moderneren Epigenetik. Weil das Krankenhaus hinterherhängt. Nein, nein: Die Ursachen sind viel erschreckender. Erklärt uns eine "Spitzenchirurgin".

Nämlich Frau Professor Dr. med. Gabriele Schackert, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie und Direktorin in der Klinik für Neurochirurgie am Universitätsklinikum Dresden.

Weil die Erklärung dieser Spitzenchirurgin unsere, meine Medizin in ein doch schräges Licht rückt, einfach wörtlich:

"Mit der Einführung des DRG-Systems (Diagnosis Related Groups) vor mehr als 10 Jahren hat sich unser Vergütungssystem grundlegend geändert. Seither arbeiten wir in den Kliniken immer intensiver an wirtschaftlich "passgenauen" Patienten.

Es gilt, den maximalen Erlös zu erzielen – je mehr und je schwieriger die Fälle bei geringer Verweildauer sind, desto besser. Bereits zu Jahresbeginn wird die Zahl der zu behandelnden Patienten für jedes Fachgebiet detailliert vorgegeben, eine Punktlandung ist das Ziel.

In diesem System schlägt sich die Zeit, die man mit den Patienten verbringt, nicht in der Vergütung nieder. Mit dem Ergebnis, das ärztliche Zuwendung zur entbehrlichen Ressource wird…"

Gewusst? Wirklich? Was in einer Klinik im Vordergrund steht?

Ich habe ja nun persönlich einige Erfahrung. Seit meinem Unfall 2005 immerhin 17 Mal operiert. Noch öfter in den Kliniken, in den Krankenhäusern. Die Behandlung war immer vorzüglich. Heilung? Keine Rede.

Und ich dachte immer, in der Medizin ginge es um genau das, um die Heilung. Tja.

Ohne Zeit keine Frohmedizin. Ohne Zeit keine Epigenetik. Ernährung, korrekte Ernährung muss erklärt werden. Einen Menschen zum Laufen zu bringen, erfordert Empathie, Zuwendung, Zeit. Entspannungstechnik, Meditation braucht Einfühlungsvermögen, Zeit. Laut Frau Professor Schackert in einer Klinik also nicht möglich.

Unvermeidlich selbstverständlich der abschließende Appell. Der Konjunktiv. Das– wie – es – sein – sollte. Darf ich?

"Es ist an der Zeit, sich wieder auf das eigentliche Arzt-Patienten-Verhältnis zu besinnen, auf Empathie und Verantwortung. Eine Medizin am Fließband, die jährlich eine Leistungssteigerung verlangt, verliert den Patienten aus dem Blickfeld. Und damit das ärztliche Ethos."

Soviel zur Klinik. Soviel zu den Klinikärzten. Deren Direktorin über das verlorene ärztliche Ethos philosophiert.

Die selbstverständlich in den Ausschüssen sitzt, wohl auch für Leitlinien mitverantwortlich ist.

Wir verstehen wieder ein bisschen besser, weshalb Frohmedizin, weshalb zeitaufwändige Epigenetik, weshalb Heilung ein so rares Gut ist.

Quelle: FOCUS 16/2016, Seite 60

Den angefügten zweiten Artikel sollten Sie schon kennen. Nächste Seite:

Was ist ein Krankenhaus?

Sicherlich fällt Ihnen spontan eine Antwort ein. Seltsamerweise hat jeder von Ihnen eine andere. Ein Kind würde sagen: "Da sind lauter kranke Leute, gell Papa?" Und Sie, falls Sie schon einmal in Not waren und Hilfe gesucht haben würden es "die letzte Hoffung" bezeichnen. Einen Ort der Hilfe. Stimmt tatsächlich: Wenn man gar nicht mehr weiter weiß, geht man ins Krankenhaus.

Wer ein- oder mehrmals drin war, entwickelt ein differenziertes Bild. Eine der klügsten Beschreibungen unserer Einrichtung Krankenhaus habe ich gefunden bei einem sehr, sehr berühmten Wirtschaftsjournalisten. Der sich beruflich viel mit Medizin und ihrer Anwendung beschäftigt hatte. Und der einmal selbst krank wurde. Hohes Fieber. Rheumatisches Fieber. Morbus Bechterew. Ich spreche von Norman Cousins und seinem berühmten Buch: "Der Arzt in uns selbst". Eine Geschichte der Heilung. Heilung aber eben außerhalb des Krankenhauses. Denn der hat an dieser Einrichtung verzweifelt:

"…ein Krankenhaus ist nicht der richtige Aufenthaltsort für einen ernstlich kranken Menschen. Die erstaunliche Missachtung elementarer Gesundheitsregeln, die Geschwindigkeit, mit der sich Staphylokokken und andere pathogene Organismen in einem Krankenhaus ausbreiten können, der extensive und manchmal willkürliche Einsatz von Röntgengeräten, die offenbar unterschiedslos verordnete Verabreichung von Beruhigungsmitteln und starken Schmerzmitteln – manchmal mehr dem Zweck dienend, dem Krankenhauspersonal die Handhabung der Patienten zu erleichtern, als aus therapeutischer Notwendigkeit – und die Regelmäßigkeit, mit der die Krankenhausroutine Vorrang vor den Bedürfnissen des Patienten erhält (Schlaf ist für eine kranke Person ein großer Segen und sollte nicht mutwillig gestört werden) – alles diese und andere Praktiken schienen mit bedenkliche Mängel des modernen Krankenhauses zu sein.

Am meisten versagte das Krankenhaus vielleicht auf dem Gebiet der Ernährung. Nicht nur, dass die Mahlzeiten sehr unausgewogen waren; geradezu unentschuldbar erschien mit die Überfülle chemisch behandelter Lebensmittel, von denen manche Konservierungsmittel und Farbstoffe enthielten. Weißbrot aus gebleichtem Mehl, versetzt mit chemischen Weichmachern, bot man mir zu jeder Mahlzeit an. Das Gemüse wurde häufig zu lange gekocht, wodurch es einen großen Teil seines Nährwertes verlor. Kein Wunder, dass der Beratungsausschuss des Weißen Hauses, Resort Lebensmittel, Ernährung und Gesundheit, 1969 die traurige Feststellung traf, ein großes Versäumnis der medizinischen Fakultäten bestünde darin, dass sie der Ernährungswissenschaft so wenig Aufmerksamkeit widmete."

Geschrieben wurde das Buch 1979. Sie alle wissen, dass sich, was die Ernährungswissenschaften angeht, bis heute auch in Deutschland nichts geändert hat. Übrigens: Was die Krankenhauskost angeht auch nicht. Ich hab sie ja soeben selbst einige Wochen genossen. Oder besser gesagt: Gerade nicht.

Wenn Sie sich in das Thema, das ja auch für Sie einmal lebenswichtig sein könnte, hineindenken, werden Sie "spüren", dass das Krankenhaus früher eine andere Einrichtung war. Sehr viel menschlicher. Wenn auch vergleichsweise technisch katastrophal, damals. Heute sind Krankenhäuser technisch auf höchstem Stand. Aber das mit der Zuwendung, mit der Menschlichkeit hat nachlassen… müssen. Dahinter stehen Zwänge. Planwirtschaft. Gesetzlich vorgeschriebene Festzahlungen pro Krankheit. Wenn da auch nur eine winzige Komplikation eintritt, eine unvorhergesehene Entzündung nach einer Operation, wird das nicht mehr bezahlt. Und bevor das Krankenhaus Pleite geht, streicht es eben Stellen. Krankenschwestern. Ärzte. Resultat: Noch weniger Zuwendung.

Was ich soeben beschrieben habe, ist tägliche Realität. Wird bereits im Fernsehen beklagt. Mit Zahlenangaben.

Hab ich mir gestern abend angehört.