Vernunft kehrt ein

Eines der unendlichen Themen in der Medizin betrifft Eiweiß und die Niere. Nicht die gesunde Niere: Es gibt keine Obergrenze der Eiweißzufuhr für einen gesunden Menschen. Beweist Ihnen jeder Löwe. Akzeptiert.

Möglicherweise ist das aber anders bei der kranken Niere. Und weil tatsächlich nicht in den Körper eingebautes, nicht benötigtes Eiweiß über die Niere ausgeschieden wird, hat man Menschen mit eingeschränkter Nierenfunktion, mit kranker Niere das Eiweiß möglichst verboten. Um die Niere nicht "zu belasten". Klingt ja zunächst vernünftig.

Nur sind dann diese Menschen leider verfrüht gestorben. Unterernährt. In der Sprache der Ärzte an "Malnutrition". Weil Eiweiß nun einmal das Immunsystem des Menschen ist. Und wenn Sie die Niere schonen durch weniger Eiweißzufuhr, der Mensch aber mit geschwächtem Immunsystem an Lungenentzündung stirbt…dann denkt man neu nach.

So Dr. R. Hetzel von der Nephrologischen Universitätsklinik in Düsseldorf, der meint, dass die früher allgemein übliche Eiweißeinschränkung heute nicht mehr empfohlen werden kann. Nicht einmal bei der "terminalen Niereninsuffizienz". Also bei den schwer Nierenkranken. Selbst bei denen empfiehlt Dr. Hetzel heute 0,8 g Eiweiß pro kg Körpergewicht. Also präzise die gleiche Zahl wie bei gesunden Menschen. Denn:

"bei vielen Patienten mit einer terminalen Niereninsuffizienz besteht bereits eine Malnutrition, die durch diätetische Empfehlungen keinesfalls verstärkt werden sollte, so Hetzel".

Kommt hinzu, dass in Studien nachgewiesen wurde, dass der Eiweißspiegel im Blut positiv mit dem Langzeitüberleben korreliert. Heißt also: Je höher der Eiweißspiegel, desto länger wird gelebt. Wir sprechen hier von Nierenkranken! Und deswegen das Zitat:

"eine pragmatische Lösung stellt daher die Empfehlung dar, bei Diabetikern mit eingeschränkter Nierenfunktion (auf weniger als 50% der Normalfunktion) die tägliche Eiweißaufnahme auf ca. 0,8 g pro kg pro Tag einzustellen. Dies entspricht der Empfehlung der DGE für Gesunde".

Aufgefallen? Wie hier ganz plötzlich auf einmal das Wörtchen "bei Diabetikern" auftaucht? Will uns sagen, dass Nierenkranke eben Diabetiker sind. Fast ausschließlich. Dass die Niere also durch Kohlenhydrate zerstört wurde. Nicht etwa durch das Eiweiß. Und dass man dann, wenn es zu spät ist, sich über Eiweißbelastung Gedanken macht.

Hätte man sich die Gedanken nicht vorher beim Thema Zucker und Mehl machen müssen? Den Patienten – ach was: Den noch Gesunden, also Sie – rechtzeitig und richtig (!) beraten müssen?

Dazu passt ein Artikel von K. Pütz vom Universitätsklinikum Aachen zum Thema Dialyse. Wenn die Nieren also völlig versagen. Pütz schreibt:

"Das Ziel einer Ernährungstherapie liegt bei Dialysepflicht in der Reduktion der Zufuhr toxischer…Substanzen und der Deckung des erhöhten Bedarfs an bestimmten Nährstoffen, insbesondere Protein. Mit Beginn der Dialysetherapie heißt die Empfehlung: Eiweißreich und bilanziertes Trinken. Eine Hämodialyse erfordert eine Zufuhr von 1,2 g Eiweiß je Kg Körpergewicht pro Tag".

Darf ich zusammenfassen? Es gibt heute keinerlei Begründung mehr, die Eiweißzufuhr einzuschränken bei der kranken Niere. Auch nicht, wenn sie zu mehr als 50% zerstört ist. Auch nicht, wenn man sogar an der Dialyse hängt. Selbst die Schulmedizin hat dazugelernt.

Natürlich nicht in der Arztpraxis. Eine Patientin auf ketogener Diät hörte sich gestern (August 2011) nach 8 kg Gewichtsabnahme an von ihrem Hausarzt: "Hören Sie auf mit dieser Eiweißmast. Sie zerstören ja Ihre Niere". Kann ich nicht kommentieren.