Fettsucht früher und heute

Früher war – natürlich, natürlich – alles anders. Früher hatten wir es leichter. Jeder hatte seinen Platz in der Gesellschaft, den er auch akzeptierte. Die Einteilung in unten und oben war denkbar einfach.

Könige, Minister, Honoratioren der Gesellschaft waren fett. Oft unmäßig.

Der Arbeiter, der Handwerker, hat geschuftet und war dünn.

Ich versuche soeben, mir einen schlanken Mönch vorzustellen (das war die Intelligenz). Irgendwie finde ich da nicht das richtige Bild. Also noch einmal:

Oben war dick,

unten war dünn.

Heute leben wir nicht mehr in einer Macht-/ Kriegsgesellschaft, sondern zunehmend in einer Wissensgesellschaft. Die auch dadurch charakterisiert wird, dass die Arbeit immer weniger von außen, beispielsweise von Stechuhren, reguliert wird.

Die kreativen Tüftler im Silicon Valley kennen keine geregelten Arbeitszeiten. Die arbeiten – fast immer – rund um die Uhr. Die Arbeitszeit wird durch die Anforderung geregelt. Vorsicht, Vorsicht: durch die Anforderung an sich selbst.

Uns Deutschen nicht unbekannt. Jeder Jungunternehmer, jeder Firmengründer weiß, wovon ich spreche. Von der Eigenverantwortung.

Und jetzt kommen die Soziologen. Beispielsweise die Ernährungssoziologin Eva Barlösius, Professorin Uni Hannover. In einem Interview über das Fasten spricht sie die goldenden Worte.

"Dicksein verbinden wir mit verminderter Selbstdisziplin und Trägheit, und das widerspricht den derzeit gefragten Fähigkeiten.

Wer kontrolliert isst, demonstriert damit, dass er sein Leben im Griff hat, dass er eigenverantwortlich leistungsbreit ist, dass er mithalten kann in einer Wissensgesellschaft, in der Arbeit immer weniger von außen, beispielsweise durch Stechuhren, reguliert wird.

Wir verkörpern buchstäblich unsere gesellschaftlichen Werte."

Scheint logisch. Scheint vernünftig. Hat durchaus praktische Bedeutung. Stellen Sie sich vor, Sie wären Personalchef und müssten neue Fachkräfte einstellen.

Wenn das stimmt, was Frau Prof. Barlösius uns sagt, würde man selbstverständlich nur schlanke und damit fit wirkende Mitarbeiter auswählen. Würde Übergewichtige ablehnen.

Tatsächlich findet man unter den Führungskräften der Wirtschaft (Deutsche Bank, VW, Mercedes etc.) bemerkenswert schlanke, fit wirkende Menschen. Die damit – so lerne ich soeben – etwas demonstrieren wollen. Nämlich Leistungsbereitschaft und Eigenverantwortung.

Bei Soziologen bin ich mir nie ganz sicher. Ich glaube nicht, dass man die Zusammenhänge so einfach beschreiben kann. Denke ich an Minister Altmaier. Ganz sicherlich ein sehr fähiger, sehr fleißiger, arbeitswütiger Mensch. Nur ist er nicht gerade schlank.

Die Wahrheit sagt mir die Physiologie. Ein Übergewichtiger wird im Sommer bei Hitze leiden. Das schränkt seinen Fleiß ein. Wenn er eine Treppe hinauf springt, wird er schwer atmen, sich schwer tun. Dass er an Kreuzweh leidet, nehme ich als selbstverständlich und gegeben an. Und welche Tabletten er täglich schlucken muss, kann ich mir recht gut vorstellen. Leistungsbereit??

Bitte halten Sie mich nicht für unhöflich. In der Praxis respektiere ich jeden so wie er ist. Nur versuche ich – getreu meinem Eid – Sie zu bewegen. Buchstäblich. Sie ein bisschen in eine andere Richtung zu schubsen. Und da sehe ich den Unterschied dick/dünn ganz anders als eine Ernährungssoziologin.

Dünner, schlanker, fitter sein ist einfach schöner. Ist ein helleres Gefühl. Man hat es leichter im Leben. Und braucht wahrscheinlich weniger Tabletten wie Statine, Blutdrucksenker, Antidiabetika, Schmerzmittel zu schlucken als der Übergewichtige.

Schlank und dünn ist also schlicht und einfach ein Vorteil. Das sollte man auch aussprechen, noch besser… vorleben!, liebe Kollegen in Deutschland.

PS: Nichts fühlt sich schöner an als schlank zu sein.

Quelle: Der SPIEGEL Nr. 10/ 02.03.20109, Seite 87.