Wie, glauben Sie, schaffen es Menschen, mit der Handkante sagen wir sechs Tonziegeln zu durchschlagen? Mal nachgedacht? Ein kluger Mensch würde nach einigem Zögern ausholen, zuschlagen und kurz vor dem rauen Stein zurückzucken. Abbrechen. Weil er genau weiß, er schafft es sowieso nicht. Ein kluger Mensch. So würde wohl ich handeln.
Ein Optimist (nennen wir´s mal so) würde die Augen schließen, einen lauten Schrei ausstoßen und einfach kräftig zuschlagen. Und dann jammernd seine blutige Hand betrachten. Schon die Vernunft sagt einem ja, dass man sechs solche Steinplatten nicht so nebenbei zerbrechen kann.
Dennoch schaffen es viele Leute. Die trainieren das. Ja, was trainieren die? Kraft? Glaube ich nicht. Das haben die sowieso. Eine derbe Hornhaut? Wäre jedenfalls ein Plus. Aber eben doch nicht der entscheidende Punkt.
Der entscheidende Punkt ist eine ganz bestimmte Vorstellung. Wenn Sie wollen, eine mentale Technik. Die konzentrieren sich auf die siebte Platte. Die gar nicht da ist. Und DIE sehen sie sich in Gedanken gerade zerbrechen. Unter ihrer stählernen Handkante. Sie schlagen also nicht auf den Stein, sondern hinter den Stein.
Will sagen: Sie sehen sich bereits im Ziel. Das wars.
Es gibt doch nichts Dämlicheres, als sich den morgigen Marathon oder Triathlon "von vorne" zu betrachten. Ganz da hinten, in der Ferne, ganz klein, schwarzweiß ist das Ziel. Und man rennt und hechelt und keucht. Ist gerade bei Kilometer 38. Das dümmste, was man tun kann. Auf einen Schlag verliert der Körper alle Energie. Schon bei der Vorstellung, jetzt hier noch vier Kilometer rennen zu müssen. Unmöglich.
Auch beim Wettkampf geht es darum, schon da zu sein. Ich hab mich nur ganz flüchtig auf der Rennstrecke, aber immer schon hinter der Ziellinie gesehen. Im Trubel der Zuschauer, der Eltern, der Athleten. Habe dort genüsslich meine Cola getrunken, die Beine ausgestreckt und stolz gegrinst. Das war für mich Ironman.
Eine schreckliche Vorstellung, sich über die Lawawüste Gedanken zu machen. Oder über die Panne. Oder über den Gegenwind. Oder über die leeren Beine. Weshalb darüber nachdenken? Kommt sowieso. Und wenn´s kommt, werden sie damit fertig, weil sie sich im Ziel ja schon gesehen haben. Sie sind ja schon da. Sie brauchen dieses Wohlgefühl hinter der Ziellinie. Das erst trägt Sie durch den Wettkampf. Haben Sie verstanden?
Und genauso schläft man endlich ein. Immer der gleiche Fehler. Aus Erfahrung klug gehen sie schon mit Bangen und Zagen ins Bett. Was das heute wieder geben wird! Wie lange wir diesmal brauchen werden! Ob Sie lieber gleich wieder aufstehen und erst etwas lesen? Noch etwas trinken? So grübeln Sie herum.
Weil Sie sich vor dem Türchen zum Schlaf sehen. Schlaf ist etwas ganz da hinten, hinter der Mauer. Versperrt. Da wollen Sie zwar hin, aber nachdenken tun Sie über das davor. Kein Wunder, dass Ihr Unterbewusstsein sich mit "davor" beschäftigt und sich alle Mühe gibt, Ihren Wünschen zu folgen: "Davor bleiben!" Bloß nicht hinüber rutschen in den Schlaf! Genau das sind die heimlichen Befehle, die Sie dem Unterbewusstsein geben.
Es folgt alles uralten ehernen Gesetzen. Ihr Unterbewusstsein hört Ihnen ganz genau zu. Versteht Ihre Bilder besser als Sie selbst.
Dahinten ist der Schlaf. Da wollte ich eigentlich hin.
Aber ich bin hier. Und grübele, was ich hier und jetzt tun soll.
Ein Kind glaubt. Das glaubt Ihre Gutenacht-Geschichten. Das glaubt ans Traumland mit den vielen Orangen. Sieht es so richtig vor sich, ist bereits im Traumland drin, pflückt die Orangen, will sagen: Ist unerwartet und ganz plötzlich eingeschlafen. Sie als Eltern staunen dann immer.
Ach, wenn ich das auch könnte! Als ob sie´s nicht schon gekonnt hätten. Können Sie nicht mal ein kleines bisschen nachdenken?
Also los: Ab ins Bett voll Freude. Schlafen, Träumen ist etwas Wunderherrliches. Da sind wir ja alle einer Meinung. Ich freu mich jedes Mal darauf. Genau wie Kinder. Jetzt darf ich durch das Türchen in das Traumland gehen. Das Türchen steht offen, nur für mich. Ja, dann aber los, husch husch!
Nicht davor stehen, und grübeln, wie Sie wohl durch das Türchen schreiten könnten, sondern…es TUN. Hätten wir wieder das geheimnisvolle Wort. Tun! Sie sind einfach schon da.
Von mir aus schauen Sie sich selbst beim Einschlafen zu (übrigens: der Sündenfall) sehen, wie Sie da liegen, wie Sie tief schlafen. Wie Sie langsam atmen, sich ab und zu leise bewegen, zufrieden sind mit sich und der Welt. Schlafen. Tief schlafen.
Fühlen Sie von mir aus, wie sich Gliedmaßen im Schlaf anfühlen. Nämlich schwer. Noch viel schwerer. Sie sind ständig verspannt. Übrigens auch im Bett. Merken Sie natürlich erst dann, wenn Sie aufmerken. Wenn Sie sich darauf konzentrieren. Tatsächlich: die linke Schulter, die linke Hand war soeben angespannt. Obwohl Sie doch schlafen wollten, sprich bereits im Schlaf sein wollten.
Schon diese kleine Anspannung, Ihnen gar nicht bewusst, verhindert Schlaf. Unterscheidet Sie von einem Schlafenden. Lässt Schlaf nicht zu.
Also sehen und fühlen Sie sich als ein Mensch, der bereits im Tiefschlaf liegt. Sind Sie schon im Ziel. Das kann man üben. Trainieren, wenn Sie so wollen. Schließlich haben Sie ja beliebig Zeit. Acht Stunden lang.
Also freuen Sie sich doch einfach auf acht Stunden lohnendes Training. Es wird sowieso nur eine viertel Stunde werden. Aber schon das Gefühl, einmal Zeit zu haben für etwas. Ein Gefühl, wie Sie es tagsüber selten erreichen werden. "Ich darf jetzt acht Stunden Schlaf üben". Habe alle Zeit der Welt. Niemand stört mich. Wunderschön.
Wer einschlafen will wie ein Kind, muss sich benehmen wie ein Kind: Er muss bereits vorher dort sein, im Traumland. Sich darauf freuen, sich wohl fühlen.
Übrigens: Falls es Sie beruhigt, es hat noch jeder geschafft. Das Einschlafen. Und wenn es zwei Wochen gedauert hat. Aber er hat es geschafft. Finden Sie das nicht tröstlich?
Anhang: Auch wenn´s dadurch länglich wird. Noch einmal präzise zum Punkt. Bin einmal in Texas 1.000 Kilometer Radrennen gefahren. Am Stück. Hat über 38 Stunden gedauert. Der Trick: Ich wusste gar nicht, wo Texas liegt. Hatte nie eine Landkarte gesehen. Hatte keine Vorstellung von der Strecke. Hatte auch keine Vorstellung von 1.000 Kilometern auf dem Rad. Hatte nur einen Gedanken: Wie schaffe ich es, nach dem Rennen zwei Räder zu verpacken (kann ich nämlich nicht) und zum Flughafen zu schaffen.
Diese Frage hat mich vorher jeden Tag bewegt. Nichts anderes. Hätte ich über so ein Rennen nachgedacht…unverzeihlich. Resultat: Ich wurde Zweiter. Ich war immer schon "hinter dem Ziel". Mein Problem war nicht das unmögliche Radrennen, sondern war der Rückflug. Verstanden?