Statine und Krebs

Eine unerwartete Frohbotschaft???

In der deutschen medizinischen Presse, wohin man auch guckt, weil so sensationell Zusammenfassungen wie folgt:

"Eine neue große Studie hat festgestellt

dass es einen Zusammenhang gibt

zwischen dem Einsatz von Statinen

und dem verbesserten Überleben

bei vier der häufigsten Krebsarten"

Oh. Überraschung. Also holen wir uns die Originalstudie. Und lesen hier die Überschrift:

"Erhöhtes Blutfett reduziert die Sterblichkeit

bei Brust-, Prostata-, Lungen- und Darmkrebs".

Tja. Da steht kein Wort von Statinen. Tatsächlich wurden in der Studie auch nicht Statine studiert. Ein Statinverbrauch überhaupt nicht nachgefragt, nicht statistisch erfasst. Seltsam. Wie kommt dann die deutsche Presse (so typisch) zu solchen Überschriften?

Es beginnt der übliche, lustige, spannende Krimi. Man muss halt forschen. Aber welcher Journalist tut das schon? Da werden zwei ganz simple Datenpakete erhoben:

  • 22.677 Klinik-Patienten mit Krebs

  • Einweisungsdiagnose: "erhöhtes Blutfett"

Auf dem Zettel, auf der Einweisung ins Krankenhaus stehen Diagnosen. Brustkrebs. Auch Bluthochdruck. Andere Begleitkrankheiten. Also auch erhöhtes Blutfett. Und hier wurde statistisch aus den Archiven herausgekrümelt die obigen zwei Angaben: gesicherter Krebs sowie: stand auf der Einweisung das Wort "erhöhtes Blutfett"? Mehr nicht. Ganz erstaunlich das Resultat: Stand auf der Einweisung das Wort "erhöhtes Blutfett", dann reduzierte sich die Sterblichkeitsrate an Krebs

  • um 22% bei Lungenkrebs

  • um 43% beim Brustkrebs

  • um 47% beim Prostatakrebs

  • um 30% beim Darmkrebs

Meine Güte! Heißt doch sofort: Nichts wie rauf mit dem Blutfett. So hoch wie möglich. Schützt vor dem Krebstod (nicht vor dem Krebs). Oh mei, oh mei. Schalten wir unser Denkorgan ein:

  • das war eine Assoziation. So wie: Kehren die Störche zurück, gibt es mehr Kinder.

  • Blutfett ist Teil des Metabolischen Syndroms. Also hätten die auch nach "Bluthochdruck", nach "Diabetes", nach "Übergewicht" forschen können. Hätten selbstverständlich exakt den gleichen Zusammenhang herausgefunden.

  • Und dann wird´s kriminell: Je ungesünder ein Mensch lebt, desto mehr schützt er sich vor dem Krebstod.

Das war den Forschern selbstverständlich unheimlich. Denken können die auch. Das glauben die selbstverständlich auch nicht. Und jetzt werden sie schlau. Sie springen. Sie vollbringen einen Gedankensprung:

Menschen mit erhöhtem Blutfett nehmen Statine. Nehmen die einfach an. Haben die nicht herausgeforscht. Die tun so, als ob. Dann…

… gibt es einen Zusammenhang zwischen Statinen und verringerter Krebssterblichkeit.

Mitgekommen? Das werden wir in Deutschland von nun ab jahrzehntelang lesen. Statine und Krebs, da gab´s doch was. Sicher wird bald" Statine verhindern Krebs" draus.

Die Verfasser der Arbeit waren wenigstens so ehrlich, anzumerken, dass sie dann natürlich auch annehmen müssten, dass andere Tabletten, nämlich die gegen Bluthochdruck, die gegen Diabetes, die zum Herzschutz gegeben werden, eine vor dem Krebstod schützende Wirkung haben könnten/müssten. Die bleiben ehrlicherweise nicht an Statinen hängen.

Das tut die deutsche Presse. Keine Angst.

Des Rätsels Lösung? Falls Sie noch zuhören können. Ganz einfach. Was ist hier passiert? Nehmen Sie einen einzigen Patienten. Der wird zwei Mal ins Krankenhaus eingewiesen.

  • Zunächst zu Beginn seiner Krebserkrankung. Der Krebs ist noch sehr klein. Noch fraglich. Da schreibt der gewissenhafte Hausarzt natürlich noch andere Diagnosen mit auf den Einweisungsschein: Bluthochdruck hat er auch noch, erhöhtes Blutfett hat er auch noch.

  • Nach Behandlung wird der Patient irgendwann nach Hause entlassen. Der Krebs erst weg, dann doch wieder Metastasen… Der Hausarzt weist ihn erneut ein. Zur Infusions-Ernährung beispielsweise.

  • Schreibt der Hausarzt diesmal "erhöhtes Blutfett" mit auf den Einweisungsschein? Nein. Tut er nicht. Jetzt steht der Krebs dermaßen im Vordergrund, dass alles andere unwichtig ist.

Verstanden? Es gibt so ne und solche Patienten: mit dem kleinen Knoten in der Brust, Mammographie, ab ins Krankenhaus. Hier steht Hyperlipidämie noch auf dem Einweisungsschein. Oder beim gutartigen Hautkrebs. Oder beim langsam wachsenden, lange Zeit nicht tödlichen Prostatakrebs.

Und dann gibt es Patienten, voll mit Metastasen, denen es schlecht geht. Hier steht "Hyperlipidämie" nicht mehr auf dem Einweisungsschein. Zu unwichtig. Die sterben dann am Krebs. Ohne "Hyperlipidämie". Das war´s.

Denken tut weh.

Quelle: HEART 102 (Suppl6): A 57. Juni 2016