So wird er genannt, der Ernst von Siemens Musikpreis, dieser "Nobelpreis" geht dieses Jahr an den Dirigenten Mariss Jansons, der in einem Interview (Zeit Magazin 30.05.2013) zwei Themen berührt, die meine Seele… öffnen. Vielleicht geht es Ihnen genauso?
Er spricht, wie sollte es anders sein, auch über das Wesen der Musik. Und da findet er Worte wie:
"Oft entsteht etwas, eine Atmosphäre, ein Inhalt, ein Gefühl… die Noten sind ja nur Zeichen. Was steht dahinter? Wenn Du das erspürst, wenn Du weißt, genau das möchte ich ausdrücken, dann kriegst Du eine ganz spezielle Ebene. Ich nenne das die kosmische Ebene. Diese mystische Energie zwischen Musikern und Dirigent ist ein Gottesgeschenk, eine Gnade."
Wieder erkannt? Nennen wir Flow. Dieser mystische Moment, wenn Denken und Tun zusammenfallen. Wenn wir ganz in einer Sache aufgehen. Sportler sprechen oft von "the Zone". Ein Musiker und Dirigent darf dies getrost ein Gottesgeschenk, eine Gnade nennen.
Dann aber spricht er über seine Kindheit. 1955, mit 13,zog die Familie von Riga in das damalige Leningrad. In die Sowjetunion und da waren – man höre und staune, liebes demokratisches Deutschland – die Sitten und Gebräuche ganz andere. So lese ich
"Vieles war nicht leicht, aber Schwierigkeiten können auch eine wunderbare Schule sein. Nur weil man in einer komfortablen Wohnung sitzt und keine materiellen Probleme hat, bedeutet das noch lange nicht, dass man zu einem besseren Menschen wird. Meiner Überzeugung nach ist Komfort eine gefährliche Sache."
Weiß jeder, der sich morgendlich zum Joggen aufrafft. Da muss man die eigene Komfortzone verlassen… Jansons schreibt aber auch über seine Ausbildung:
"Ich war in einer Schule für musikalisch talentierte Kinder. Der Lebensweg ist vorgegeben. Man muss sehr viel lernen, die Lehrer verlangen perfekte Leistungen. Als wir nach Russland zogen, hatte ich noch zusätzlich täglich fünf bis sechs Stunden Sprachunterricht."
Aua. Denke ich an unsere unsägliche, endlose Schuldebatte. Eines kommt ganz sicher nicht vor in den Schulpsychologen-Weisheiten: Perfekte Leistungen. Das wäre nämlich… unmenschlich. Und zusätzlich zum Unterricht außerdem noch fünf bis sechs Stunden Sprachunterricht? War damals, 1955, in der Sowjetunion, der sozialistischen, offenbar selbstverständlich.
Heute würden Sie mit solch einem Gedanken hier bei uns nicht etwa nur ausgelacht, sondern verschrien und angefeindet.
Diese Art von Denken gibt es freilich auch bei uns noch: Bei Leistungssportlern. Tagsüber in die Schule, ganz früh morgens und spätabends härtestes Training. Wie denn sonst? Ich hatte einmal über eine solche junge Dame berichtet: Sie glauben nicht, was ich da für Zuschriften bekam. Nach dem Motto: Am Leben vorbei. Keine Selbstverwirklichung und andere neumodische Begriffe.
In unseren Genen steckt ganz anderes. Komfort jedenfalls nicht.