Das Nordic – Fitness – Interview

»Nordic Walking ist das Nadelöhr zum Glück«
sagt der Mann, den sie »Fitness-Papst« nennen. Dr. Ulrich Strunz polarisiert, aber er schafft es auch, mit seiner Forever-young-Methode Hunderttausende zur Bewegung zu bringen. Nordic-Fitness-Chefredakteur Ulrich Pramann sprach mit ihm über inneren Antrieb und Bewegungslust, mentale Kraft und wie sich Glücksgefühle herstellen lassen.


Wie alt fühlen Sie sich heute Morgen?
Jeder Mensch fühlt sich wie 18. Auch ich fühle mich wie 18. Dass der Körper weiter altert, nehmen wir gar nicht wahr. Aber Ihre Frage zielt sicher auf etwas anderes ab, oder?

Ja. Wie fühlen Sie sich, wenn Sie morgens aufstehen? Steif und müde?
So war das mit 45, da habe ich mich wie 60 gefühlt, überfordert, ausgebrannt. Das kennen sicher viele, die wie die Verrückten arbeiten, ich habe es ja auch getan. Ich habe auch meine Migräne gehabt. Heute nicht mehr. Wenn ich heute in der Früh aufstehe,
freu ich mich auf das, was kommt. Für mich ein völlig neues Lebensgefühl. Stellen Sie sich mal vor, jeder in diesem Lande würde sich morgens wieder freuen auf das, was kommt...
... wie ließe sich das erreichen?
Indem man seinen Körper mehr mit Sauerstoff versorgt.

Wie bitte – so einfach soll das gehen?
Ja. Bewegung ist die Wunderpille, für die der Mensch ein Vermögen zahlen würde, wenn es sie in der Apotheke zu kaufen gäbe. Wissen Sie, die Leute denken immer, Laufen oder auch Nordic Walking hätten was mit Schwitzen zu tun. Hier geht es um etwas ganz anderes. Bewegung ist nur ein Trick, um dem Körper mehr Sauerstoff zu geben.
Um Sauerstoff geht es doch immer in allen Verjüngungstheorien. Manfred von Ardenne hat seinen Patienten Ozon gespritzt und er verbesserte das Ergebnis um maximal 27 Prozent. Wenn Sie rennen, legen Sie bei der Sauerstoffversorgung des Körpers 1000 Prozent zu. Nichts rückt dem Fett effektiver zu Leibe, nichts macht resistenter gegen Stress und nichts
hält jünger.

Forever young das ist Ihr Slogan, der für Erfolg stehen soll.
Wer ist eigentlich darauf gekommen?

Darauf bin ich 1990 gekommen. Eines Tages kam ein anderer Arzt, der von der Figur her als Vorzeigetyp nicht so sehr geeignet war, zu mir und wollte Seminare machen.
Er ist über die Zeitung auf mich aufmerksam geworden, auf den Wundermann, der fünfmal den Ironman geschafft hatte. Also haben wir Seminare gemacht und die hießen von Anfang an Forever young. Das muss eine Eingebung gewesen sein.

Genial?
Ich habe mich damals geschämt. Das war ein zu großes Versprechen, das ist ja wohl nicht seriös. Ich habe mich damals wissenschaftlich geschämt.

Und heute?
Überhaupt nicht mehr. Seit Professor Ulf T. Eysel, ein Physiologe an der Ruhr-Universität
in Bochum, gesagt hat: Das menschliche Gehirn hat die Kapazität, den Alterungsprozess nicht nur zu stoppen, sondern ihn umzudrehen. Das Gehirn kann jünger werden. Das ist doch Wahnsinn. Und derjenige, der das sagt, ist Physiologie. Ich sage manchmal viel, wenn der Tag lang ist, aber ein Physiologe hält sich an die Wahrheit. Kann man auch der Alterungsprozess des Körpers stoppen?
Ja. Durch richtige Ernährung und Bewegung. Forever young war vor 15 Jahren ein Vorgriff auf das, was wir erst jetzt wissenschaftlich vertreten können.

Wann hatten Sie Ihr persönliches Schlüsselerlebnis und sind zu einem Bewegungsmenschen geworden?
Genau am 4. Dezember 1988 mittags um 12 Uhr. Da hat mich Hubert Schwarz aus der Praxis rausgeholt. Warum? Er war Chef der Triathleten, ich betreuender Arzt – und er hat mich für einen Idioten gehalten, übrigens zu Recht.
Ich betreute etwas, was ich überhaupt nie erlebt hatte. Ich wusste gar nicht, was Laufen ist.
Nach wenigen Tagen habe ich die Welt wieder gesehen wie ein Kind. Ich habe in den Bäumen wie damals als Kind wieder die Elfen gesehen. Ich habe über dem Wasser die Geister schweben gesehen. Sie wissen, was ich meine: dieses magischen Sehen der
Welt. Sie wurde wieder farbig. Da habe ich gesehen: Ich bin 45 Jahre verkalkt. So bin ich darauf gekommen, dass Tabletten schlucken nicht die Lösung ist, sondern Bewegung.

Bewegung ist der Schlüssel zu allem?
Ja. Indem Sie es tun, erfahren Sie etwas. Sie können die Leute nicht mit Argumenten kriegen, wie gut euch das tut und so weiter. Dann tun sie es noch lange nicht. Sie müssen es tun. Wie eben meine letzte Patientin mit 120 Kilo und kaputten Knien. Sie sagt jetzt: Ach, das tut mir so gut. Meine Depressionen sind plötzlich weg. Sie ist nur spazieren gegangen. Es geht nur um das Wort Bewegung.
Und was kam für Sie dabei heraus?
Zum Beispiel das Gefühl: Ich freu mich auf den Tag. Das war für mich unerhört, weil ich dies mein ganzes Leben nicht gewusst und natürlich auch nicht gelebt hatte.

Also alles ganz einfach? Iss richtig, denk richtig, beweg dich?
Diese Formel gibt es, seit es Mönche gibt. Die haben den ganzen Tag auf dem Feld gearbeitet, von dem gelebt, was das Feld hergab, und sie haben meditiert.

Gemessen an Ihrem grandiosen Erfolg wirken Sie manchmal ziemlich empfindlich, wenn Sie kritisiert werden. Warum eigentlich?
Ich weiß. Ich schäme mich für meine Reaktion. Ich nehme meine Mitmenschen ernst, das gebietet mein Beruf. Leider übertrage ich das auch auf Kritiker. In Ihren Augen ist das vielleicht ein Nachteil, in meinen Augen ist das unverzichtbar, wenn ich authentisch sein will.

Wie kommt das wohl, dass man Ihnen immer wieder einen Herzinfarkt andichtet – oder hatten Sie wirklich einen?
Nein, ich hatte keinen. Aber das ist doch lustig und verständlich. Wenn sich einer oben aufs
Podest selbst hingestellt hat, das verzeiht man nicht. Ich habe den Ironman gewonnen. Ich
habe vier Millionen Bücher verkauft. Ich habe mich durch meine Leistung da hochgestellt.

Gibt es da etwas Schöneres als die Schlagzeile »Fitness-Papst erleidet Herzinfarkt«?
Nein, mein Herz ist pumperlgsund. Ich habe das Herz eines 16-Jährigen, sagt mir der untersuchende Kardiologe.

Darüber können Sie offenbar lächeln...
Darüber ja, weil es so glatt unwahr ist. Aber über andere Anfeindungen weniger. Nehmen wir mal die Eiweißdiskussion. Vor 15 Jahren fing ich an: Wenn ihr nicht mehr Eiweiß esst, dann habt ihr verloren auf dieser Welt. Na, da ging ein Sturm los. Eiweißvergiftung und so. Heute sagt sogar die Deutsche Gesellschaft für Ernährung, was ich immer gesagt habe. Wenn ich Mythen und Märchen öffentlich mache, kassiere ich dafür immer wieder Ärger. Deswegen bin ich empfindlich.

Aber man sieht Sie trotzdem immer lächeln – Lächeln gehört zu Ihrem Lebenskonzept?
Nein, das ist Biologie.

Wieso das?
Wenn du nicht lächeln kannst, mach kein Geschäft auf, sagen die Chinesen. Aber wie geht das als Angestellter, der Bankschulden und Ischias hat? Das ist Dummgeschwätz, genau wie der richtige Satz: Liebe deinen Nächsten. Machen Sie das doch mal. Den?
Ich nie! Diese Aufforderung ist falsch. Was damit gemeint ist, ist richtig. Das weiß jeder. Sie können eine positive Einstellung nicht einschalten, sie muss echt sein. Und dieses Echte kommt entweder aus der Biologie. Beispiel: Sie haben genügend Tryptophan, eine Aminosäure, im Körper, die macht Ihnen Serotonin, ein Glückshormon. Und wenn Sie damit im Körper messbar überschwemmt sind, werden Sie lächeln. Oder es kommt aus
dem Unterbewusstsein. Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln wenn dieser eine Satz in jeder Sekunde in Ihrem Hirn abläuft, wird sich niemand mehr umbringen oder ärgern.

Es geht also nur um die Einstellung?
Noch nicht mal das, es geht ums Unterbewusstsein. Es geht ums Grundgefühl. Wenn Sie überzeugt sind: Ich bin ein Sieger dann werden Sie gewinnen. Wenn Sie dieses Grundgefühl nicht haben, wenn Sie immer und an allem zweifeln, dann haben Sie schon verloren.

Was sagen Sie, wenn man Sie fragt: Und wie komme ich dahin?
Laufen Sie einfach! Weil Sie durchs Laufen in den Tran kommen,
in den Alpha-Zustand. Weil sich unsere blöden Gedanken langsam abstellen, Sie kommen langsam hinein ins Unterbewusstsein. Da kommen so einfache Ideen wie: Eigentlich sollte ich meine Frau mal wieder anlächeln.

Sie reden vom Segen des Laufens. Erreiche ich diesen Zustand auch beim Nordic Walking?
Selbstverständlich. Es geht darum, große Muskelgruppen in einem bestimmten Pulsbereich
zu bewegen. Hier hat sich Nordic Walking als deutlich effektiver herausgestellt wenn es
richtig gemacht wird. In meinen Augen ist das eine sehr komische Sportart. Sie sieht lächerlich aus nicht, wenn es der Könner macht, aber beim Anfänger. Trotzdem ist es effektiver als jede mir bekannte Sportart.

Ist die Bewegung in Gefahr, weil es so viele nicht sehr effektiv betreiben und dann die erhofften Resultate ausbleiben?
Ach, nein. Es geht darum: Wie kriege ich die Leute zur Bewegung? Nordic Walking ist genial und so viel besser als die Laufbewegung. Viele Leute können nicht laufen, sie sind zu dick, zu träge, zu faul, oder es geht bei vielen einfach nicht. Nordic Walking kann jeder. Deswegen kann man Nordic Walking gar nicht hoch genug loben. Weil ihnen das harmlos erscheint. Weil ihnen das machbar erscheint. Nordic Walking ist ein Einschmeichler.
Vielleicht werden sie dann irgendwann ein bisschen schlanker und fitter und fangen das Joggen an das hoffe ich.

Man nennt Sie Fitness-Papst, Laufguru, Sie sind auf der Bühne Entertainer, Sie sind Autor und Extremsportler. In welcher Rolle sehen Sie sich am liebsten?
Oh, ich bin Arzt. Wir Ärzte haben einen Eid geschworen: die Gesundheit zu erhalten und sie wieder herzustellen. Da steht kein Wort von Krankheit. Ich musste meinen weißen Kittel ausziehen, rauf auf die Bühne und den Clown spielen habe ich jahrelang gemacht. Warum? Weil ich da die Gesunden erwischt und denen gesagt habe, wie sie ihre Gesundheit erhalten können so wie es der Eid verlangt. Ich will eben nicht in meiner Praxis warten, bis Kranke kommen und dann reparieren das ist nicht mein Eid.

Was haben Sie sich noch vorgenommen?
Ich habe mal mit 45 behauptet: Ich bin am Ziel. Ich kann nichts mehr erleben, was mich erschüttert, ich wusste schon alles. Und dann kam das Laufen. Da habe ich gemerkt: Junge, du hast vom Leben keine Ahnung gehabt. Jetzt könnte ich mich eigentlich auch zurücklehnen. Aber ich ahne, das geht nicht. Jetzt beschäftige ich mich mit dem Gehirn. Auf gut Deutsch euer Glück.

Wissen Sie, wie man Glück erzeugen kann?
Es gab da diesen Bestseller: Die Glücksformel. Die Quintessenz ist: Lauft. Bewegt euch.

So einfach ist das?
Professor Hollmann, der Nestor der deutschen Sportmedizin, hat 1988 als Erster gesagt: Wenn du die Beine bewegst, geht das Licht im Hirn an. Übersetzt heißt das: Wenn Sie laufen, vergrößert sich das neuronale Netz. Wenn Sie laufen, kriegen Sie mehr Gehirnzellen. Wenn Sie laufen, kriegen Sie neue Ideen. Man hat ein Problem und plötzlich kriegt man es gelöst. Beim Laufen. Nicht beim Grübeln, nicht vorm Fernseher, nicht beim Zeitunglesen. Warum versteht das niemand?
Halb Deutschland hat doch ein Problem, es sind doch fünf Millionen Arbeitslose da, ist das vielleicht kein Problem? Wollen die das vielleicht nicht lösen?
Nein, die wollen das nicht lösen. Man muss ihnen lieb sagen: Lauf du mal und du wirst eine Lösung für dein jetziges Problem finden das meine ich todernst. Das ist ein Gesetz.

Wie ist Ihr Tagesablauf? Da ist noch sehr viel drin, oder?
Das sind alles Reflexe. Ich habe sein 40 Jahren meinen 4-Uhr-früh-Reflex. Ich gehe sehr früh ins Bett, 21 oder 22 Uhr, und stehe sehr früh auf.

Und dann?
Dann geht’s los. Ein Stündchen Training – und dann sitze ich am Schreibtisch.

Und was machen Sie in dem Stündchen Training?
Oh, ich bin ein empfindlicher, älterer Herr und liebe die Kälte nicht. Also ich habe meine Rudermaschine und mein Laufband.

Kennen Sie keinen inneren Schweinehund?
Es sind Reflexe. Aber es gibt natürlich Methoden, den inneren Schweinehund zu über-winden, und zwar wieder auf biologische Weise, das weiß man aus Studien mit Triathleten. Die eine Gruppe wurde kohlenhydratreich ernährt, die andere eiweißreich.
Die Eiweißreichen hatten den inneren Drang zu trainieren das war der entscheidende Unterschied. Die Überwindung des inneren Schweinehundes gelingt mit Phenylalanin, das ist ein Hormon, das kann man essen.

So leicht?
Erhöhen Sie Ihren Eiweißspiegel von jetzt traurigen 6,9 auf sagen wir 8,4 – das war’s. Dann  haben Sie mehr von dieser Aminosäure Phenylalanin, und die wird im Gehirn zu Dopamin man spürt plötzlich einen Antrieb.

Und das ist allein durch mehr Eiweiß möglich?
Ja, so einfach kann das sein.

Nach jetzigem Stand, Dr. Strunz, wie alt werden Sie?
Ich sage immer 116 Jahre, nachdem wir auf 120 bis 130 programmiert sind. Das ist so. Die erleben wir nicht. Nun habe ich gelumpt bis 45, deswegen werde ich nur 116. Aber mit 100 werde ich beim Ironman in Hawaii über die Ziellinie tänzeln.

Sie sind ja noch unglaublich schlank.
Auf der Körperfettwaage vor zwei Tagen stand 2 Prozent Körperfett. Jetzt wissen Sie, wie diese Waagen lügen. Bei welcher Größe und welchem Gewicht?
Bei 1,78 und 66 Kilogramm. 69 Prozent sind Muskeln.

Ist Körperfett ein Parameter, der für Sie entscheidend ist?
Ja. Aus zwei Gründen: Im Körperfett versickert Blut, bei einem dicken Menschen werden Sie einen Liter Blut im Körperfett finden. Der fehlt ihm in den zwei wichtigsten Organen, eins davon ist das Gehirn. Die Dicken schnarchen in der Oper, die schnarchen im Bundestag denen fehlt der eine Liter Blut.
Zweitens: Jedes Umweltgift ist fettlöslich. Und dieses Zeugs sammelt sich im Fettgewebe und bleibt da das ganze Leben. Und nach 20 Jahren ist das nicht mehr nicht schlimm, sondern tödlich, führt zu Brustkrebs oder auch nur zu Schlappheit. Deshalb bin ich schlank. Ich will nicht als Giftmüllspeicher rumrennen. Die Dicken tun das.
Sie regulieren das mit Bewegung und Ernährung.

Essen Sie Fleisch?
Nein. Ich kann Fleisch nicht mehr riechen. Leider.

Was schmeckt Ihnen dann?
Eiweißpulver. Das ist so köstlich. Sonst schmeckt mir Obst.

Süßigkeiten?
Doch, ja. Nachts überfällt es mich manchmal, wie jeden anderen auch. Da hau ich rein, wie es kommt. Ganze Tafeln Schokolade. Na und? Ich hab null Probleme damit.

Wie ist das möglich?
Ich laufe am nächsten Tag wieder. Wenn man das mal verstanden hat: Du musst Nordic Walking täglich machen, nicht die blöden 20 Minuten, sondern eineinhalb Stunden, du musst dich dabei anstrengen, du brauchst einen bestimmten Puls dann kannst du nach einem halben Jahr essen, was du willst. Wenn man das weiß, fallen diese ganzen Verbote weg. Deswegen ist Nordic Walking so entscheidend wichtig, viel wichtiger als Jogging, weil man jetzt die Leute endlich kriegt. Mit Radfahren hat das nicht geklappt, mit Inlineskating auch nicht, mit Schwimmen schon überhaupt nicht. Und jetzt klappt’s plötzlich – wir sehen doch diese Massenbewegung. Und dann zerfetzen sich solche Pseudokritiker.
Aber lass’ sie. Nur Verlierer kritisieren. Gewinner lächeln und loben.