Leitlinien hinterfragt!

Artikel #790 vom 20.06.2016


Moderne Medizin basiert auf Leitlinien. Auf der sogenannten Evidenzbasierten Medizin. Die bezieht ihr Wissen, ihre normative Kraft aus zahllosen Studien mit tausenden von Patienten.

Ein glücklicher Gedanke. Weg vom Mittelalter, hin zur Naturwissenschaft. Medizin, die auf Studienergebnissen basiert und nicht auf, sagen wir, der Windrichtung.

Diese Leitlinien werden

  • von uns Ärzten ausdrücklich begrüßt, weil sie die ärztliche Kunst auf ein empirisch abgesichertes Fundament stellt.
  • Wird von der Gesundheitspolitik begrüßt, weil es endlich eine Richtschnur gibt, an der entlang entschieden werden kann, was bezahlt werden soll und was nicht.
  • Wird von der Juristerei ausdrücklich begrüßt, weil sie ein zuverlässiges juristisches Fundament bieten.

Von Patienten war bisher nicht die Rede. Von Patienten, um die sich die ganze Medizin ja drehen sollte. Beispiel gefällig?

Bluthochdruck: Viele Menschen mit hohem Druck in den Adern fühlen sich zwar wohl, werden aber auf die Dauer krank. Deshalb wird dank Leitlinien der Blutdruck auf ein „statistisch unbedenkliches Niveau“ abgesenkt. Nur: Viele Patienten fühlen sich jetzt schlechter als vorher.
Frage: Wer hat also Recht: Die Statistik des Arztes oder der fühlende Patient?

Spricht sich rum. Auch bei den Ärzten. Auch beim ersten deutschen Kongress über eine „wertebasierte Gesundheitsversorgung“, zu welchem die Berliner Ärztekammer soeben eingeladen hatte. Da fallen so Sätze wie:

  • Die Leitlinien bilden die Vorstellungen und Wünsche des einzelnen Menschen nicht ab.
  • Im Kern sind die Leitlinien autoritär und passen nicht zur Idee vom Patienten als mündigem Gegenüber des Arztes.

Deshalb (für mich der Höhepunkt) wurde auf diesem Kongress tatsächlich gefragt:

„Wie sähe es aus, wenn wir im Gesundheitswesen den Fokus tatsächlich auf den Wert und den Nutzen für den Patienten setzten?“

Schon an dieser Frage „wird deutlich, wie weit sich Arzt, Patient und Gesundheitssystem bereits entfremdet haben“ (Zitat). Und wissen Sie, woher das kommt?

Kann ich Ihnen sagen. Natürlich kann ich das. Das liegt doch nicht am bösen Willen irgendeiner Seite. Sondern das liegt, wie so häufig, tief verborgen am System.

An den wissenschaftlichen Arbeiten, auf welchen ja die Leitlinien beruhen. Schon einmal etwas von Schrottstudien gehört? In aller Kürze und noch einmal zusammengefasst:

  • Nur als Beispiel: Prozac. (News 1, News 2 und News 3, anbei).
    Wo gezeigt wird, wie die Pharmaindustrie lügt. Wo uns der zuständige Manager Dr. Virapen von der Firma Eli Lilly erzählt, wie die Zulassung von Prozac eben nicht, wie suggeriert, auf 11.000 Individuen, sondern auf nur 286 Menschen beruhte. Da wurde von Anfang bis Ende gelogen. Sagt der zuständige Manager.
  • Fälschungen. Wissenschaftliche Studien werden im großen Maße gefälscht. News anbei, wo wir lesen: 56% der Medikamentenstudien sind einfach gefälscht. Falsch. Sind Betrug.

Sehen Sie: Darauf basieren unsere Leitlinien. Und wir wundern uns, wenn der Patient der, „richtig“ behandelt wird, sich ebenfalls verwundert die Äuglein reibt.

Weshalb erzählt Ihnen das nicht Ihr behandelnder Oberarzt in der Klinik? Weshalb erzählt Ihnen Ihr Facharzt nichts davon? Dass er in Wahrheit im Dunkeln tappt?