Offenbar!

Artikel #808 vom 22.08.2016


Das Wort offenbar leitet oft eine Schlussfolgerung ein. Man sammelt Fakten, denkt nach und schlussfolgert dann... offenbar war dies oder das die Ursache für mein Leid. Offenbar.

Mich freut immer, wenn einem Patienten diese Schlussfolgerung gelingt. Wenn er irgendetwas in seinem Leben ändert, plötzlich seine Krankheit verschwindet oder er von seinen Medikamenten los kommt und er dann schlussfolgert: Offenbar hatte ich bisher etwas falsch gemacht. Aber wenden wir diese allgemeinen Gedanken doch einmal speziell an. Auf die mail des Tages:

  • Seit 2012 habe ich mit Umstellung auf proteinreiche, kohlenhydratarme Ernährung schon 20kg Gewicht abgenommen.

Das kann nicht sein. Das bildet die Dame sich nur ein. Denn ich hab´s schriftlich vom Chef der Leitlinien-Kommission der DGE, von Herrn Professor Dr. Hauner aus München:

  • „Es gibt wahrscheinlich keinen Zusammenhang zwischen Kohlenhydratverzehr und Übergewicht, denn: Mehr Kohlenhydrate zeigen keinen Langzeit-Effekt bei der Entwicklung von Übergewicht.“ Siehe News.

Aber weiter im Text

  • „Neuerdings Besserung der depressiven Symptome und Antriebslosigkeit. Aktuelle Diagnose bipolare Störung….
  • Supplementiere Magnesium, Vitamin B 6, Niacin, Vitamin B 12, Zink, Vitamin C, Omega 3, Vitamin D, Eisen, Jod, Chrom.
  • Habe dadurch seit 10 Tagen keine Stress-Attacken mehr. Damit meine ich starke Erschöpfungszustände tagsüber, was in den letzten Jahren oft mehrmals pro Woche vorkam und zu 4 Klinikaufenthalten seit 2013 beigetragen hat.“

Neben dem Übergewicht also Depression. Bipolare Störung. Seltsame Stress-Attacken. Vier Mal im Krankenhaus. Und da fängt die Dame jetzt an, irgendwelche Vitamine und solches Zeug zu sich zunehmen. Und was passiert? Besserung der Depression, keine Stress-Attacken mehr. Schlussfolgert die Dame:

  • „Offenbar litt ich an starkem Vitalstoff-Mangel!“

Da haben wir’s, das offenbar. Da beobachtet ein Mensch sich selbst und kommt zu einer Schlussfolgerung. Zu einem Ergebnis. Jedem seriösem Arzt graust es dabei: Selbstverständlich reiner Zufall. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Wie sollte man das beweisen können? Sehen Sie…. diesen Hochmut kennt der Patient nicht. Diese Arroganz. Diese Überheblichkeit. Der Patient weiß nämlich.

Der weiß um seine Gefühle, der weiß um sein Leid. Und der weiß auch ganz genau, was er getan hat, was er geändert hat. Und kennt das Ergebnis.

Der ist auf das arrogante Geschwätz von uns Ärzten (hier fehlt die Studie! Das ist kein Beweis!) wirklich nicht angewiesen. Was all die Leitlinien-Herausgeber, die sich auf Studien stützen, übersehen:

  • Es geht immer nur um einen Menschen.
  • Es geht immer nur um einen Patienten.
  • Es geht immer nur um: Wer heilt hat Recht.

Die Aussage, das „offenbar“ eines einzigen Patienten schlägt jede Studie. In den Augen dieses Patienten. Und nur darauf kommt es an.