Vitamin D

Artikel .1037 vom 21.10.2019


Manchmal verrät ein einziger Satz, eine einzige Überschrift eine neue Wahrheit. Oder andersherum: Enthüllt eine einzige Headline jahrzehntelangen Irrtum unserer Ernährungsexperten, unserer Ärzte. Ich meine die vier Worte

Nonclassic actions of vitamin D

Titel einer wissenschaftlichen Veröffentlichung in J Clin Endocrinol Metab. 94;26:2009

Der Titel sagt uns, dass es anscheinend klassische Wirkungen von Vitamin D gibt und dann – deshalb die neue Arbeit – nichtklassische. Klassisch kennen wir: Vitamin D ist ein Knochenvitamin. Nicht klassisch ist die Erkenntnis, dass Vitamin D das „Allround‐Hormon des Körper“ sei, dass Vitamin D schützt vor

  • Herz/Kreislauferkrankungen
  • Diabetes
  • Das Immunsystem stärkt
  • Tumorwachstum hemmt
  • Nervenzellen schützt
  • Multiple Sklerose und Depressionen zumindest lindert (verhindert)

Die aufgeführten doch recht sensationellen Erkenntnisse sind neu. Die Wissenschaft ist eben nicht bei „Vitamin D ist ein Knochenvitamin“ stehen geblieben.

Stehen geblieben ist das Denken, das Denken über Vitamine bei vielen unserer Ernährungsexperten, unserer Ärzte. Beispiel: Vitamin C taugt halt gegen Skorbut. Punkt. Deshalb die langsam lächerliche empfohlene Mengenangabe von etwa 150 mg täglich. Richtig gegen Skorbut. Stehen gebliebenes Denken.

Und das gilt für praktisch jedes andere Vitamin. Erst ganz, ganz langsam wachen wir auf. Und beginnen uns auch um andere Wirkungen (Vitamin C verhindert Krebs) zu kümmern, dann aber auch um ganz andere Dosierungen. Deshalb waren die neuen, etwa 20‐fach höheren erlaubten Vitamindosen der EU so hilfreich (siehe unten).

Zurück zu Vitamin D: Auf einmal fällt dann eben auf, dass dieser ungeheuerliche Satz, heute noch zu hören und nachzulesen, so völlig daneben liegt. Der Satz „Vitamine haben wir alle genug. Man muss sich nur ausgewogen ernähren“.

Heute gilt laut Robert‐Koch‐Institut, dass mehr als die Hälfte der Deutschen in allen Altersgruppen zu niedrige Vitamin‐D‐Blutspiegel haben (Eur J Clin Nutr 62;1079:2008).

Dass je nach Bezugswert sogar 90% der Kinder und Jugendlichen einen Vitamin‐D‐Mangel aufweisen (J Nutr 138;1482:2008). Bei älteren Menschen sind mehr als 70% betroffen.

So viel zu der Gebetsmühle: Vitamine haben wir alle genug. Dass man hier langsam aufwacht in Deutschland, lässt mich als Arzt sehr wohl aufatmen.

Langsam aufwacht? Auch heute hat jeder zweite meiner Patienten erschreckenden Vit D-Mangel. Es ist IHR Leben, IHRE Lebensenergie, IHRE Lebensfreude!


Vitamine? Europa blamiert Deutschland

Und zwar bis auf die Knochen. Natürlich war es schon immer so, dass Deutschland alles besser wusste. Dass wir die Wahrheit gepachtet haben. Und für dieses "wir" haben wir deutsche Behörden geschaffen. So das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), deren Beamten uns sagen, wie wir unser Leben zu gestalten haben.

Kam die Globalisierung. Peinlich. Da sickert doch plötzlich ausländisches Wissen durch deutsche Grenzen. Verdirbt unseren Beamten den ganzen Spaß. Wenn Sie einmal die unten stehende Tabelle studieren, verstehen Sie, weshalb eine ganze Behörde, eine Bundesbehörde derzeit, seit 2008, einen knallroten Kopf hat (denk ich mir: hoffentlich).

Die haben uns seit Jahrzehnten Angst gemacht und erzählt, wie gefährlich Vitamine sind. Dass wir strenge Grenzen einhalten müssen. Die Welt hat uns immer ausgelacht. Jetzt ganz offiziell:

Vitamin  Europa (EFSA):
Oberer sicherer Bereich 
Deutschland (BfR):
Obergrenze
3000 µg  400 µg 
50 µg 5 µg
300 mg  15 mg 
Beta Carotin  zu wenige Daten  2 mg 
Vitamin C Keine Obergrenze 225 mg
B1  Keine Obergrenze  4 mg 
B2  Keine Obergrenze  4,4 mg
B3  Nicotinamid 900 mg  17 mg 
B6  25 mg  5,4 mg 
B7 (Biotin)  Keine Obergrenze  18 mg 
B9 (Folsäure)  1000 µg  400 µg 
B12  bis 5000 µg  3-9 µg

Meine höfliche Bitte: Schicken Sie mir in Zukunft nicht mehr die üblichen Briefe mit der üblichen Frage: Wie können Sie, Dr. Strunz, solche Überdosen an Vitaminen empfehlen. Das Wort Überdosen lässt mich immer zusammenzucken. Jetzt wissen Sie weshalb.

Die Fakten wurden zusammengestellt von A. Jopp.